LAST EUROPEAN LETTER
N. 86 Juli 2025 | Aus der Sackgasse herauskommen
Die Beschleunigung historischer Prozesse, die wir in den letzten Monaten erlebt haben, macht immer deutlicher, dass Europa in die Lage versetzt werden muss, wie ein föderaler Staat zu handeln – angesichts überwältigender Bedrohungen, die aus allen Richtungen die Sicherheit und das Wohlergehen seiner 450 Millionen Bürger gefährden. Leider zwingt der derzeitige institutionelle Rahmen, der noch weitgehend auf einem intergouvernementalen Entscheidungssystem beruht, die Union dazu, um ihr Überleben zu kämpfen, blockiert durch die kurzfristig divergierenden Interessen der 27 Mitgliedstaaten.
Die Situation ist mit Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus deutlich eskaliert: Die neue US‑Regierung ist von einem Politikstil des Desengagements gegenüber Europa zur Ausübung von Macht gegenüber dem alten Kontinent übergegangen. Ziel ist es, transatlantische Beziehungen auf der Grundlage einer Unterwerfung Europas unter die «America First»-Doktrin zu etablieren. Dieser Paradigmenwechsel hat bereits gravierende Folgen, insbesondere in sicherheits- und wirtschaftspolitischer Hinsicht.
Im Falle des Ukraine‑Konflikts haben Trumps vielfach offen feindseligen Äußerungen gegenüber Selenskyj die Zukunft des ukrainischen Widerstands gegen die russische Invasion nachhaltig unsicher gemacht. Zwar bleiben die militärische und technologische Unterstützung der USA – vor allem im Bereich Geheimdienst und Satellitenkapazitäten – vorerst unverzichtbar, doch politischer und finanzieller Einsatz wurde stark zurückgefahren. Die EU sah sich gezwungen, die Lücke zu füllen, doch der Versuch, die Unterstützung für die Ukraine aufrechtzuerhalten, verläuft mühsam: tiefe Spaltungen unter den Mitgliedstaaten, ungleiche militärische Beiträge und eine oft dürftige politische Koordination.

Um Trump zu „besänftigen“ und zumindest ein Mindestmaß an US‑Unterstützung zu sichern, haben europäische Länder zugestimmt, amerikanische Waffen zu kaufen und ihre Verteidigungsausgaben binnen zehn Jahren auf rund 5 % des BIP zu erhöhen. Der NATO-Gipfel in Den Haag Ende Juni, der dieses Engagement festlegte, war von einer übermäßigen Einnehmigkeit Europas gegenüber der US-Administration geprägt – exemplarisch sichtbar im devoten Verhalten des NATO‑Generalsekretärs Mark Rutte gegenüber Donald Trump. Gleichzeitig führt der Wiederaufrüstungsplan der EU hauptsächlich zur asymmetrischen Stärkung nationaler Armeen, ohne echte Initiative für eine gemeinsame Verteidigung.
Ebenso entscheidend ist die zunehmende wirtschaftliche Spannung zwischen der EU und den USA, die sich zu einem echten Handelskonflikt ausgewachsen hat. Die Trump-Administration arbeitet an einem umfassenden Zollsystem für alle ausländischen Importe, mit dem Ziel, das US-Handelsdefizit zu verringern, die Innenindustrie zu reindustrialisieren und vor allem die Mittel zur Finanzierung des „Big Beautiful Bill“, des kürzlich vom Kongress verabschiedeten Bundeshaushaltsgesetzes, bereitzustellen – ein Gesetz, das das Defizit massiv erhöhen wird. Die umfangreichen Steuererleichterungen für die Reichsten und der deutliche Anstieg der Ausgaben für Verteidigung und Migrationskontrolle können keinesfalls durch drastische Sozialkürzungen im Gesetz ausgeglichen werden.
In einem Schreiben an die Europäische Kommission drohte Trump mit der Einführung pauschaler Zölle von 30 % auf europäische Exporte in die USA – eine Maßnahme, die, wenn sie umgesetzt würde, vielen Exportsektoren Europas einem Embargo gleichkäme, insbesondere dem Automobil, Chemie und Agrarsektor. Trotz dieses zunehmenden Drucks verfolgt die Europäische Kommission bisher eine vorsichtige, wenn nicht gar unterwürfige Haltung.

Besonders problematisch ist, dass die Verhandlungen mit der Trump-Administration mit sicherheitspolitischen Fragen und Europas Abhängigkeit von Washington in vielen Schlüsselbereichen verknüpft sind. Brüssel weiß, dass es nicht über die politische Schlagkraft und Kapazität verfügt, die Verhandlungen vom technischen Niveau handels- und abkommenstechnischer Details in das tatsächliche Machtgefüge zu verlagern – obwohl allein die Größe seines Marktes reale Handlungsspielräume böte. Daher versucht die Union, eine unmittelbare Eskalation zu vermeiden und toleriert eine Reihe einseitiger Zugeständnisse. Besonders hervorzuheben ist die Befreiung US-amerikanischer Unternehmen von der im OECD-Rahmen vereinbarten Mindeststeuer von 15 % auf multinationale Konzerne.
Das eigentliche Problem ist erneut: Der europäische Konsens ist alles andere als geschlossen und gewährt der Kommission keine politische Rückendeckung. Einige Mitgliedstaaten, wirtschaftlich stärker von US-Repressalien bedroht, setzen auf einen versöhnlicheren Kurs; andere fordern mehr Standhaftigkeit und sofortige Gegenmaßnahmen. Diese Phase der scheinbaren Abwarten kann jedoch nicht lange dauern. Wenn bis zum 1. August keine akzeptable Einigung erzielt wird, könnte die EU gezwungen sein, ein Paket von Gegenmaßnahmen zu starten – darunter die viel diskutierte Digitalsteuer, die gezielt große US-Technologieplattformen in Europa treffen würde. Es geht dabei nicht nur um die Widerstandsfähigkeit des transatlantischen Handels, sondern um die Fähigkeit der EU, ihre ökonomische Souveränität in einer globalen Ordnung zu verteidigen, die immer mehr durch das Gesetz der Macht bestimmt wird.
Trumps Strategie beruht auf einer Sprache und Methoden des „Wirtschaftsgangstertums“: Drohungen, Erpressung und einseitige Verfügungen. Wenn die europäischen Staaten ihre Bürger schützen und aus der durch gegenseitige Differenzen verursachten Sackgasse herausfinden wollen, müssen sie der EU die notwendigen Instrumente verleihen, um sich gegenüber anderen großen Wirtschaftsräumen behaupten zu können.

In diesem komplexen Umfeld hat die Europäische Kommission kürzlich ihren Vorschlag für den mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für den Zeitraum 2028–2034 veröffentlicht. Darin versucht sie, den EU-Haushalt zu modernisieren und ihn besser (oder wenigstens weniger ungeeignet) gegenüber den zahlreichen Bedrohungen für das Überleben der Union aufzustellen. Zunächst ist festzuhalten, dass der neue MFR ein Volumen von 2 000 Milliarden Euro erreichen soll – etwas mehr als der bestehende Rahmen, der 2020 auf 1 074 Milliarden Euro festgelegt wurde, zu denen 750 Milliarden Euro des Next Generation EU-Programms hinzukamen.
Die vorgeschlagene neue Finanzarchitektur sieht eine starke Rationalisierung der Ausgabenprogramme vor, mit dem Ziel, Verwaltung zu vereinfachen und die politische Kontrolle durch die Kommission zu stärken. Die Vorschläge spiegeln zudem eine tiefgreifende Verschiebung der politischen Prioritäten wider: Geplant sind erhebliche Mittelaufstockungen für Migrationsmanagement und Verteidigung. Auch ein neuer Europäischer Wettbewerbsfähigkeitsfonds mit einem Volumen von 409 Milliarden Euro soll eingerichtet werden, um die Entwicklung strategischer Technologien zu fördern. Zur Finanzierung des Haushalts schlägt die Kommission die Einführung neuer „Eigenmittel“ vor. Dazu gehören die Ausweitung bestehender CO₂-Abgaben im Rahmen des ETS und CBAM, ein Beitrag auf nicht recycelte Elektroabfälle, eine feste Abgabe auf Tabaksteuern und eine Steuer auf große Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 100 Millionen Euro. Zudem soll die Kommission bis zu 150 Milliarden Euro an Schulden aufnehmen dürfen, um Mitgliedstaaten Kredite für strategisch gemeinsame Projekte zu gewähren. Obwohl viele Beobachter den Vorschlag als ambitioniert einstufen, bleibt er in Wirklichkeit hinter den klar definierten Ausgabenzielen des Draghi-Berichts zurück, die die europäische Wettbewerbsfähigkeit gegenüber amerikanischer und chinesischer Konkurrenz stärken sollen.
Der wichtigste politische Punkt ist jedoch, dass selbst diese minimale Modernisierung des EU-Haushalts angesichts der engen rechtlichen Rahmenbedingungen der Verträge kaum Aussicht auf Erfolg hat. Die Artikel 311 und 312 AEUV verleihen der MFR‑Zustimmung eine stark intergouvernementale Prägung. Insbesondere bei den Eigenmitteln ist Einstimmigkeit auf EU‑Ebene (im Rat) und auf nationaler Ebene (durch Parlamentsratifikation) erforderlich. Unter diesen Voraussetzungen erscheint es unwahrscheinlich, dass der Haushaltsrahmen in der von der Kommission vorgeschlagenen Form angenommen wird – zumal er bereits von verschiedenen Interessengruppen, dem Ausschuss der Regionen und einigen Regierungen, darunter Deutschland, kritisiert wurde.

Dennoch bleibt die zugrunde liegende politische Frage – nämlich die existenzielle Notwendigkeit, den Status quo zu überwinden und der Union die minimalen Instrumente für Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit bereitzustellen – ein gemeinsames Anliegen aller Mitgliedstaaten, selbst jener mit größerer Scheu vor Ressourcenteilung und gemeinschaftlicher Ausgabepolitik. Die Europäische Union braucht einen föderalen Haushalt in ausreichender Größe und vor allem unabhängig von nationalen Vetos, um globalen und internen Herausforderungen effektiv begegnen zu können – wovon auch die politische und wirtschaftliche Stabilität der einzelnen Mitgliedstaaten abhängt.
Vor diesem Hintergrund müssen die föderalistischen und pro-europäischen Kräfte im Europäischen Parlament die Verhandlungen über den neuen mehrjährigen Finanzrahmen als strategischen Hebel nutzen, um den Kampf für Vertragsreformen neu zu entfalten. Dank Artikel 312 AEUV hat das Parlament ein Veto bei der MFR‑Zustimmung: Diese Befugnis muss konsequent genutzt werden, um die Regierungen zur Einleitung des Verfahrens zur Vertragsrevision zu zwingen und der Union eine echte autonome fiskalische Kapazität zu verschaffen. Diese Reform soll insbesondere durch die Erweiterung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens auf die Entscheidung über die Eigenmittel und den MFR selbst erfolgen. Diese Forderung wurde bereits im November 2023 vom AFCO‑Ausschuss im Rahmen des Parlamentsbeschlusses zur Vertragsrevision erhoben.
Das Parlament sollte daher sein Veto gegen den MFR aufrechterhalten, bis der Europäische Rat der Einberufung einer Konvention zur Vertragsreform zustimmt. In diesem Rahmen muss das Parlament die verfassungsgebende Debatte mit Nachdruck erneut aufnehmen und die Schaffung einer eigenen fiskalischen Handlungsfähigkeit der Union in den Mittelpunkt stellen – unterstützt von allen Regierungen, die Europa aus der Sackgasse führen und den Prozess der politischen Integration wiederbeleben wollen.